Am Rande des Weltraums

Gepostet von meta-physik am Dienstag 7 Oktober 2008

PassepartoutII über der ErdeSamstag, 04. Oktober 2008. Wo es nicht gerade regnet, verdecken dicke graue Wolken den Himmel, die sich erst gegen Nachmittag lichten. Zu spät für den Reisebeginn unseres Passepartout, denn schließlich ist so ein Stratosphärenballon samt seiner Nutzlast eine Weile unterwegs und auch für die Bergung soll noch ausreichend Zeit vorhanden sein, bevor die Sonne wieder untergeht. Die Leitung des PolAres-Ballon-Teams hat daher klugerweise schon am Freitag entschieden, dass der Start um einen Tag verschoben wird. Ein Bericht von Daniela Scheer.

Sonnenaufgang über dem Lustbühel Observatorium, GrazSonntag, 05. Oktober 2008. Der Wetterbericht hat gehalten, was versprochen war – der Himmel ist völlig wolkenlos und verspricht tiefblau zu werden. Bereits um 7 Uhr früh ist Treffpunkt am Grazer Lustbühel Observatorium. Noch nicht ganz wach, dafür aber großteils völlig verschnupft versammeln sich das Ballonteam und seine freiwilligen Helfer in der Kuppel. Laptops werden aufgebaut, die tags zuvor in mühevoller Kleinarbeit zusammenmontierten Antennen auf dem Dach platziert und Autos mit Antennen ausgerüstet.

Ausrüsten der VerfolgerautosDer prachtvolle Sonnenaufgang täuscht über die bereits recht herbstlichen Temperaturen hinweg, die Eiskratzer haben bereits Saison. Um 8 Uhr starten die beiden Verfolgerteams. Zwar gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu verfolgen, die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass man dem Ballon ein Stück voraus sein muss, wenn man ihn bis zu seiner Landung eingeholt haben will. Noch einmal Benzin und Kaffee tanken und los geht’s.

Eine vorläufige Berechnung der Flugroute zeigt Szombathely als Zielort. Verfolgerauto 1 begibt sich daher nach Hartberg, während Verfolgerauto 2 den Auftrag hat, sich in Fürstenfeld zu positionieren. Hartberg, 9 Uhr 30. Wir haben inzwischen das Frühstück nachgeholt und warten auf Meldung von unserem Kontrollzentrum. Der für 9 Uhr 30 geplante Start verzögert sich, weil sich noch 3 Flugzeuge im Luftraum befinden. Die Freigabe vom Tower am Grazer Flughafen kommt 15 Minuten später und Passepartout hebt ab.

Start des Hemisphärenballons „Passepartout“ vom Grazer LustbühelEin geglückter Start, wie wir erfahren – leider können wir das GPS-Signal der Gondel nicht empfangen. Es stellt sich heraus, dass eine der beiden Barken ausgefallen ist. Robert, unser Funker vom Österreichischen Versuchssenderverband richtet seine Geräte daher auf die zweite Barke aus und kurz nach 10 Uhr haben wir ein Signal. Der Ballon befindet sich bereits in 6 km Höhe, die Innentemperatur der Gondel beträgt 13°C. Kurz nach 10 Uhr beginnt Passepartout von der vorausberechneten Flugroute abzuweichen und zieht nach Süden. Da er seinen Kurs in der nächsten halben Stunde nicht in unserer Richtung ändert, kommen wir ihm entgegen und verlegen unseren Standort nach Gleisdorf.

Ballon mit Passepartour IIc„Passepartout“ ist mittlerweile auf 16 km Höhe gestiegen und bewegt sich schnell. Seine Geschwindigkeit schwankt zwischen 40 und 60 Kilometern pro Stunde. Außerdem schlägt er Haken. Kaum haben wir aufgeholt, ändert er die Richtung – der Ballon stoppt seine Südfahrt und fliegt jetzt Richtung Osten. Er steigt immer noch und erreicht seine maximale Höhe von ca. 31, 4 km um ca. 11 Uhr 20. Das ist eine beachtliche Höhe. Wir hoffen, dass die Kameras an Bord alles festgehalten haben, was „Passepartout“ in dort oben erlebt. Kurz darauf erhalten wir die Meldung, dass der Ballon geplatzt sein dürfte, auch auf unserem Bildschirm hat er an Höhe verloren, wir sehen ihn auf ca. 26 km. Jetzt wird es heikel, denn bis zur Landung vergehen ab diesem Zeitpunkt höchstens 30-40 Minuten.

Ballonverfolgung mittels GPS-DatenDas österreichische Bundesheer verfolgt unseren Stratosphärenballon auch bei diesem Flug mittels Radar und ergänzt damit unsere GPS-Daten, was die Verfolgung erleichtern soll. Während des rasanten Abstiegs ist der Ballon allerdings schwer zu orten und auch das GPS-Signal wird nun in größeren Abständen empfangen. Kurz bevor wir es über den Grenzübergang Heiligenkreuz schaffen, ist „Passepartout“ bereits auf 17 km Höhe gefallen. Theoretisch könnten wir ihn bald mit freiem Auge sehen, leider ist trotz Fernglas nichts auszumachen.

Flugbahn des Hemisphärenballons „Passepartout“ laut GPS-DatenGegen 11 Uhr 50 landet der Ballon, noch wissen wir aber nicht wo. Schließlich bekommen wir vom Kontrollzentrum die letzten Funkdaten der Sender an Bord der Gondel übermittelt. Sie sind unser Ausgangspunkt für die Suche nach dem Landeort. Und der befindet sich laut dieser Daten in einem Ort namens Bajansenye in Ungarn, 20 km landeinwärts. Hier setzen unsere Telefonnetze aus und die Kommunikation mit dem zweiten Verfolgerfahrzeug ist vorübergehend lahmgelegt. Die Straßen enden mancherorts unvermittelt in einem Wald oder an Holzbrücken, die man höchstens zu Fuß betreten sollte. Glücklicherweise erreichen beide Teams den Ort fast zeitgleich, wenn auch auf unterschiedlichen (Schleich-)Wegen.

Wir empfangen auch etwas, das wir für den Ballonsender halten und nehmen die Verfolgung auf. Die Feldstärke variiert laufend und da sich das Signal nicht gut peilen lässt, machen wir uns mit anderen Mitteln auf die Suche. Nahegelegene Felder, Gärten und ein verlassenes Industriegelände werden durchforstet, Einheimische befragt, Bäume erklettert, um mit dem Fernglas Ausschau zu halten. Jeder noch so kleine rote Fetzen, der dem Fallschirm ähnelt, den wir suchen, wird unter die Lupe genommen. Drei Stunden lang. Schließlich müssen wir kapitulieren.

Funkpeilung in BajansenyeAber das Kontrollzentrum hat mittlerweile ein „track and trace“-Signal des gelandeten Ballons empfangen, welches zwar nicht mit den bisher verfolgten GPS-Daten übereinstimmt (offenbar hat sich hier ein systematischer Fehler eingeschlichen), aber dafür mit den letzten Radardaten des Bundesheers, die ca. 3 km über dem Erdboden erfasst wurden. Es scheint, dass der Ballon bzw. seine Nutzlast am Fallschirm die letzten Kilometer senkrecht nach unten gerauscht ist. Die neuen Koordinaten liegen knapp 10 km und einen weiteren Grenzübergang entfernt – in Slowenien. Also packen wir alles wieder ein und suchen nach dem kürzesten Weg nach einem Ort namens Salovci.

Es stellt sich heraus, dass das Gebiet stark bewaldet ist. Wir versuchen über kleine unverzeichnete Strassen so nahe wie möglich an den Zielpunkt auf der Karte heran zu kommen. Schließlich verfolgen wir den Zielpunkt noch ein paar hundert Meter zu Fuß über abgeerntete Maisfelder. Unser Ballon scheint sich in dem dahinter gelegenen Waldstück zu befinden. Nach ein paar Metern befinden wir uns exakt auf dem gekennzeichneten Punkt – der Ballon ist nicht da. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Er ist nämlich sehr wohl genau da wo wir auch sind, nur 15 Meter höher. Dort hängt die Gondel, scheinbar unversehrt, die Signallampen fröhlich blinkend. Der Fallschirm hat sich nochmal 10 Meter weiter oben in einer Baumkrone verfangen.

Es ist mittlerweile 16 Uhr und so sehr wir uns freuen, unseren Hemisphärenballon vollständig wiedergefunden zu haben – jetzt ist guter Rat teuer. Wie bekommt man das Ding da bloß wieder runter? Wir einigen uns darauf, heimische Experten zu Rate zu ziehen und machen uns auf die Suche nach der örtlichen Feuerwehr. Nachdem wir im einzigen Lokal der Gegend einige sprachliche Hürden genommen haben, reist Rudolf an. Er ist ein älterer Herr und hat, wie wir erfahren, 20 Jahre in der Schweiz gelebt. Neben Deutsch spricht er übrigens noch Ungarisch, Slowenisch, Kroatisch und Italienisch. Mit seiner Hilfe organisieren wir eine Bergungsaktion.

Feuerwehr-EinsatzAllein die Kameraden haben noch einen anderen Einsatz zu bewältigen und so warten wir im Wald auf ihre Ankunft. Seit dem Frühstück haben wir nichts mehr gegessen, die Sonne verabschiedet sich langsam über die nahen Hügel und es wird ständig kälter. Judith, unsere unverdrossene Pilotin, versucht sich mutig (bereits zum zweiten Mal an diesem Tag) am Erklettern des Baumes, auf dem unsere Nutzlast pendelt, muss aber nach ein paar Metern aufgeben.

Während wir noch Alternativlösungen diskutieren (das Seil durchschießen, eine lange Stange einsetzen, Baum umschneiden…) kommt die Feuerwehr doch noch und nach einer ersten Lageeinschätzung (Originalzitat: „Ojojoj…“) versuchen es drei Leute mit einer langen Leiter, einem schwindelfreien Kameraden und ein paar Steigeisen. Damit lässt sich dann aber doch nur die Hälfte der Strecke bewältigen und auch das sieht schon reichlich gefährlich aus. Die einbrechende Dunkelheit tut ihr übriges und wir müssen die Bergungsversuche für heute einstellen und unsere müden Knochen spät abends zurück nach Graz befördern.

Rudolf Svetec mit dem erfolgreich geborgenen HemisphärenballonMontag, 06. Oktober. Rudolf hat nochmals mit der Feuerwehr konferiert und so wird am frühen Nachmittag ein zweiter Bergeversuch gestartet. Dieses Mal mit Säge. Abgesehen von dem Baum, der dem Besitzer ersetzt wird, hat der Einsatz noch ein anderes Opfer gefordert – die kleine Holzbrücke, über die Rudolf tags davor noch mit seinem Auto gebrettert ist, hat sich bei letzten Überquerung in ihre Bestandteile aufgelöst. Als wir gegen 18 Uhr in Salovci ankommen, kommt uns unser Helfer bereits mit den Überresten des Ballons entgegen. Es ist alles noch dran und dank der gezielt vorsichtigen Bergung ist auch die Gondel unversehrt geblieben. Fast vier Stunden hat die Aktion gedauert, erzählt uns Rudolf beim Kaffee. Und dass er jetzt Englisch lernt – das muss man heutzutage schließlich können. Wir danken ihm im Namen des Österreichischen Weltraum Forums für seinen Einsatz für die Wissenschaft und sichern uns noch seine Visitenkarte. Wer weiß, ob wir beim nächsten Ballonstart nicht wieder einen Dolmetscher brauchen…

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