IG zu Fuß, Tag 16 – zu Fuß in die Umlaufbahn

Gepostet von meta-physik am Donnerstag 25 August 2011

© kladu / PixelioWas Gerlinde Kaltenbrunner kann, kann ich auch: Ein paar Tausend Meter zu Fuß gehen. Die Distanz von Meeresniveau bis zum Gipfel des Mount Everest sind zum Beispiel nur zirka 100 Meter mehr als Luftlinie vom Bahnhof Hütteldorf bis zum Stephansplatz. (Bild: © kladu / Pixelio.de)

Um einen Achttausender horizontal zu besteigen, braucht man Wien nicht einmal zu verlassen. Man kann das Gedankenspiel aber weiterspinnen. Fahren wir also vom Wiener Westbahnhof aus Richtung Innsbruck, und stellen wir uns vor, wir fahren nicht nach vorne, sondern nach oben. Zwischen Melk und Amstetten würde dann der Weltraum beginnen (so genau kann man das nicht sagen, weil nirgendwo ein Schild steht.) Die meisten Satelliten fliegen zwischen Linz und etwa Le Mans in Frankreich.

Auf die ISS trifft man irgendwo zwischen Salzburg und Kufstein. Auch das lässt sich nicht so genau sagen, weil sie täglich zwischen 50 und 150 Meter an Höhe verliert (das hängt davon ab, wie viel Luft gerade da oben ist – die Lufthülle der Erde hat nicht immer dieselbe Ausdehnung). Außerdem gibt es zwischen dem erdnächsten und dem erdfernsten Punkt einen Höhenunterschied von zirka 20 Kilometern. Damit sie nicht abstürzt, wird regelmäßig angeschoben, mit dem, was gerade verfügbar ist – einer Sojus, einem ATV, einer Progress oder dem Modul Swesda. Früher auch mit dem Spaceshuttle.

Das Weltraumteleskop Hubble fliegt etwas höher, ein Stück hinter Innsbruck. Mit guter Planung sind all diese Destinationen noch zu Fuß erreichbar, oder zumindest mit dem Fahhrad. Gute Planung, gutes Kartenmaterial und ausreichend Urlaub vorausgesetzt.

Wenn man vom Westbahnhof aus immer weiter Richtung Paris fährt, trifft man hinter Le Mans auf praktisch keine Satelliten mehr. Der Grund dafür ist der Van-Allen-Gürtel, dessen Strahlung jegliches Gerät rasch kaputtmacht, und die auch für Menschen nicht sonderlich gemütlich ist. Menschen haben sich, außer wenn sie zum Mond geflogen sind, noch nie so weit hinausgewagt. Der Astronaut Claude Nicollier beschrieb zum Beispiel, dass er bei seinen Hubble-Servicemissionen ständig ein Blitzen in den Augen sah – und zwar unabhängig davon, ob seine Augen offen oder geschlossen waren. Und wie man gleich sieht, werden die Entfernungen im Weltall schlagartig größer und sind mit keinem irdischen Fahrzeug mehr leicht bewältigbar.

Weiter draußen trifft man sehr wohl wieder auf Gerät von der Erde, nämlich im geosynchronen Orbit. Das ist dort, wo sich Telekommunikationssatelliten tummeln. Das praktische an dieser Umlaufbahn ist, dass ein Satellit, den man dort platziert, gleich schnell rotiert wie die Erde, und daher immer über demselben Fleck steht. Daher ist dieser Orbit auch außerordentlich begehrt.

Diese Umlaufbahn befindet sich in einer Höhe von 36.000 Kilometern. Wie weit müsste man fahren, um die Entfernung dorthin vom Westbahnhof aus zurückzulegen? Kurz nachgedacht – wie groß ist die Erde eigentlich? Die Antwort: Sie hat einen mittleren Umfang von 40.000 Kilometern. Man müsste also, um die Strecke Erde – geosynchroner Orbit zurückzulegen, fast einmal die ganze Erde umrunden!

Um zum Mond zu gelangen, müsste man fast 10-mal um die Erde herumfahren (aber selbst das schaffen manche Leute, mein Fahrlehrer erzählte mir damals, als ich den Führerschein machte, er hätte diese Strecke schon mindestens einmal im Fahrschulauto zurückgelegt.) Nur, auch das ist erst ein Katzensprung. Um zur Sonne zu gelangen (OK, wer will schon dahin …) müsste man 3750-mal rund um die Erde kurven (ich hoffe ich hab mich nicht verrechnet!), und auch das ist kosmisch gesehen erst ein winziger Schritt. Das ist wohl der Grund, weshalb Menschen interstellare Raumfahrt bislang nur in Science-Fiction-Filmen betrieben haben.

Und damit wieder zurück zur Erde. Ich möchte die Leistung von Gerlinde Kaltenbrunner mit meiner polemischen Einleitung keineswegs schmälern, sondern ihr im Gegenteil hiermit meine größte Hochachtung ausdrücken. Meter ist nämlich nicht gleich Meter, und alles ist relativ. Die entscheidende Kleinigkeit, die den Unterschied ausmacht, ist die Richtung. Um auf der Erde einen Meter zurückzulegen, dessen Endpunkt gleich hoch ist wie sein Anfangspunkt, braucht man relativ wenig Energie. Wenn aber der Endpunkt über dem Anfangspunkt liegt, sieht die Sache gewaltig anders aus.

Das ist der Grund, weshalb wir, um ins Weltall zu gelangen, nicht zu Fuß gehen können, sondern Raketen bauen, neben denen Kirchtürme putzig aussehen. Und das ist auch der Grund, weshalb die Leistung von Gerlinde Kaltenbrunner wirklich gewaltig ist. Aber: Wenn Gerlinde Kaltenbrunner zu Fuß auf die höchsten Gipfel der Welt gelangt ist – dann sollte es doch möglich sein, in der Stadt zu Fuß von A nach B zu kommen. Oder?

Wenn sogar Vögel zu Fuß gehen können – schaut mal genau:

Vogel geht zu Fuß

4 Kommentare zu “IG zu Fuß, Tag 16 – zu Fuß in die Umlaufbahn”

  1. Maria

    Der Vergleich zwischen Raketen und Kirchtürmen ist etwas unpräzise, daher gibt’s hier einen Nachtrag: http://www.meta-physik.com/blog/2011/ig-zu-fuss/

  2. meta-physik » Blog Archiv » Blogteleskop #83

    […] Meine eigenen Beiträge beschreibe ich in Blogteleskopen an sich nicht, aber diesmal ausnahmsweise, weil es ein Thema ist, das mir sehr am Herzen liegt. Ich bin einen Monat lang zu Fuß ins Büro gegangen. Das habe ich zwar auch früher schon oft gemacht, aber im August habe ich darüber gebloggt. Um zu zeigen, dass es nicht nur möglich ist, sondern sogar Spaß macht. Man kommt zu Fuß weiter, als man glaubt, mit Geduld und Ausdauer sogar in die Umlaufbahn. […]

  3. bernhard redl

    weiß der verfasser oder die verfasserin eigentlich, daß es einmal in wien tatsächlich einen verein mit dem namen „IG zu Fuß“ gegeben hat? (in den 90ern, war nicht wirklich bedeutend, ich weiß das auch nur, weil ich bei dem verein mal den großartigen titel eines obmannstellvertreters innehatte 😉 )

  4. meta-physik

    Ja, weiß ich – hätte gerne mehr darüber gewusst, leider war im Netz nicht mehr viel zu finden!

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